Lisa Roy auf der Bühne des lit.Cologne Debütpreises 2023

Die wichtigsten Literatur-Tage Kölns sind nun vorbei: Insgesamt 105.000 Besucherinnen auf der lit.COLOGNE. Nachdem ich letztes Jahr eine Lesung vor zwei Personen hatte, würde ich mich nicht sträuben, dort aufzutreten. Doch mein Status als Publikumsmagnet hat sich noch nicht weit genug herumgesprochen. Rampenlicht-süchtig und verschlagen wie man als Literat eben ist, finde ich allerdings eine Hintertür, irgendwie doch noch auf die Bühne zu kommen.

Lisa Roy ist mit ihrem Roman „Keine gute Geschichte“ zum Debütpreis der lit.COLOGNE nominiert. Neben einer Lesung und einem Interview gehört dazu auch der sogenannte „Freundschaftsdienst“, bei dem eine befreundete Person eine Laudatio halten oder ein kleines Talent aufführen soll. Als Lisa mich fragt, ob ich diesen Freundschaftsdienst für sie leisten wolle, gebe ich mich natürlich zögerlich, vermittle, das sei sehr viel verlangt, und lasse mich erstmal zum Essen einladen. In Wahrheit poche ich geradezu darauf und sage schlussendlich unter einem leidenden Seufzen zu.

Was genau ich auf der Bühne dann eigentlich will, ist mir unklar. Unter dem Druck, etwas besonders Geistreiches zu tun, möchte ich ihr gerne ein Geschenk überreichen. In meinem vom langen Kunststudium aufgeweichten Gehirn, kommt es mir sehr brillant vor, ihr eine Unterhose unseres gemeinsamen Schriftsteller-Freundes Thomas Empl zu überreichen, die ich neulich nach einer Berlinreise in meiner Wäsche fand: Als literarischen Glücksbringer quasi – einlaminiert und gerahmt. Doch diese Idee wird von meinen Freunden als etwas zu geistreich befunden. Mir eine gute Alternative zu überlegen, prokrastiniere ich bis zum Tag vor der Lesung.

Da der Preis durch ein Publikumsvotum vergeben wird und Lisa eine sehr bescheidene Person ist, beschließe ich letztlich, den Dienst zu nutzen, um den Gästen mit Mord zu drohen, falls sie nicht für Lisa abstimmen sollten. Damit es nicht zu harsch wirkt, verpacke ich das ganze in einen Kartentrick, der ihnen die Tat bildlich vorführt.

Auf der Bühne fasele ich dann trotzdem von Thomas Unterhose daher und bilde mir ein, ihn in der Befürchtung, sie käme gleich zum Vorschein, auf den Zuschauer-Rängen unruhig werden zu sehen. Zum Glück lachen die Leute über die gefährlich an der Grenze zu Fremdscham liegende Unterhosen-Episode. Was sie nicht wissen, ist, dass ich den Literaten-Slip nur deshalb nicht überreiche, weil ich ihn aufgrund mangelnder Frischwäsche während des Auftritts selber tragen muss. Womöglich ist das der Grund, dass Lisa in dem Kopf-an-Kopf-Rennen leider ganz knapp nicht gewinnt. Natürlich parteiisch, aber objektiv genug, finde ich ihren Beitrag – trotz der starken Konkurrenz von Cecilia Joyce Röski und Esther Schüttelpelz (Gewinnerin) – am Besten.

Nachdem ich mir nun genug von Lisas Rampenlicht abgezwackt habe, möchte ich ausnahmsweise einmal etwas zurücktreten und hier unentgeltliche Werbung machen: Genau heute erscheint nämlich Lisa Roys Roman im Rowohlt Verlag. Da die Abonnentinnen-Zahl der Kolumne bisher noch überschaubar ist, behalte ich mir vor, Sie in den nächsten Wochen stichprobenhalber zu Hause zu besuchen und zu überprüfen, ob das Buch schon auf Ihrem Nachttisch liegt.

Das Buchcover des Romans "Keine gute Geschichte" von Lisa Roy

Arielle Freytag, Anfang dreißig, hat es eigentlich geschafft: Aufgewachsen im prekären Essener Stadtteil Katernberg, verdient sie als Social-Media-Managerin in Düsseldorf mittlerweile viel Geld. Bis eine Depression sie aus der Bahn wirft und für eine Weile in die «Klapse» bringt. Kaum wieder zu Hause, erreicht Arielle ein Anruf aus Katernberg, und zum ersten Mal nach zwölf Jahren kehrt sie an den Ort ihrer Jugend zurück. Dort werden seit ein paar Tagen zwei Mädchen vermisst – was Arielle mit Wucht an ihre Mutter erinnert, die vor vierundzwanzig Jahren spurlos verschwand.

RowohltAmazonThaliaHugendubel

Zum Abschluss lesen Sie hier nun ein Interview mit Lisa Roy, das ich anlässlich der Hypertext-Tournee im letzten Sommer mit ihr führte:

Dein Roman mit dem Arbeitstitel „Brennpunkt“ erscheint nächstes Frühjahr im Rowohlt Verlag. Worum geht es?

Mein Roman, der mittlerweile „Keine gute Geschichte“ heißt, erscheint im April nächsten Jahres. Er handelt von einer Frau, die nach einer depressiven Episode in ihr Heimatviertel im Essener Norden zurückkehrt und sich dort mit dem Verschwinden zweier Mädchen, ihrer Vergangenheit und ihrer Familie konfrontiert sieht.

In Wirklichkeit geht es, glaube ich, um weibliches Verschwinden, ums Abgehängtsein und -werden und ums Ruhrgebiet. 

Abgesehen davon, dass in deinem Roman zwei Mädchen physisch verschwinden: Was ist weibliches Verschwinden?

Mir geht es um die Frage, welchen Raum Frauen in der Welt einnehmen. Zumindest scheint mir das im Nachhinein ein roter Faden – beim eigentlichen Schreiben geht es mir nur darum, eine Geschichte zu erzählen. 

Weibliches Verschwinden also: im krassesten Fall Mädchen und Frauen, die nicht mehr da sind, aber auch in viel kleinerem, manchmal unbewussten Maße… an welche Orte gehen wir nicht und warum? Wie gerade stehen wir, wie  gestikulieren wir, wie viel physischen Raum dürfen unsere Körper beanspruchen und wo machen wir uns kleiner?

Beim eigentlichen Schreiben, sagst du, gehe es dir nur darum, eine Geschichte zu erzählen. Würdest du dich trotzdem als politische Autorin bezeichnen?

Das ist beim Schreiben zumindest nicht mein Anspruch. Und wenn ich es doch mal versuche, scheint mir das Ergebnis immer didaktisch und so, als wolle der Text eigentlich lieber ein Essay sein als Prosa.

Einige der Dinge, die mich in meinen Texten beschäftigen (das Leben als irgendwie-(post)migrantischer Mensch, Frauen, die die eigene Lust ernst nehmen, Frauen überhaupt) sind wohl per se politisch.

Gibt es Menschen, die dir nahe stehen, die du nur ungern zu einer Lesung von dir einladen würdest? Wenn ja, warum?

Ja, alle Menschen, die mir nah stehen. Zumindest finde ich es im Vorfeld stressiger, vor Freund*innen und Familie zu lesen. Wenn es dann tatsächlich soweit ist, bin ich doch ganz erleichtert, eine Freundin im Publikum zu sehen. 

Zum Warum: Weil ich beim Schreiben vergesse, dass es ein Außen gibt und mir Vorlesen dann sehr intim vorkommt. Und weil meine Figuren deutlich mehr über Sex reden und fluchen und und und als ich es als Privatperson tue und mir die Idee nicht gefällt, dass meine Oma mich „ficken“ sagen hört.

Im Privaten kenne ich dich als sehr rücksichtsvolle Person, freundlich und empathisch. Einige deiner Hauptfiguren erscheinen als das Gegenteil: bitter, gemein, zynisch. Bist du mit diesen Figuren befreundet, oder kämpft ihr gegeneinander?

Befreundet, ganz klar, sonst könnte ich nicht über sie schreiben. Und bei den paar richtig Schlimmen, wo eine Freundschaft schwer fällt, immerhin jede Menge Empathie. 

Überraschen dich deine Figuren manchmal und handeln anders, als du es dir vorgestellt hast?

Ja, sie überraschen mich. Nicht unbedingt auf einer Plot-Ebene – bis jetzt hat niemand ein Messer gezückt, oder ist ohne mein vorheriges Wissen in ein Flugzeug nach Buenos Aires gestiegen. Aber die Figuren sagen vielleicht etwas Witziges oder haben einen Gedanken, der nicht von mir kommt. Vor allem in Dialogen ist es manchmal so, als müsse ich nur mitschreiben – das sind eigentlich die schönsten Momente der Arbeit. 

Was ist die größte Herausforderung dabei, einen Roman zu schreiben?

Die Länge. Und die (oder wohl eher: meine) Unfähigkeit, das Ganze zu überblicken, mich in die Vogelperspektive zu begeben.

Eine Kurzgeschichte zu schreiben, kommt mir vor wie ein Sprint: Ich nehme alle Kraft zusammen und renne los. Ein Roman ist ein Marathon und das ist deutlich anstrengender.

Das Magazin der Süddeutschen Zeitung führt Interviews in Bildern. Fragen werden mit Fotos beantwortet. Das würde ich zum Abschluss gerne kopieren: Wie fühlst du dich vor einer Lesung? Wie fühlst du dich nach einer Lesung?