Der Drehbuchautor Aart Steinmann und der Schriftsteller Leonard Prandini in der Wüste Nevadas

Das Leuchtschild des Royal Inn Motels flackert. In der Durchfahrt steht ein Pick-Up-Truck mit laufendem Motor. Aart kramt zerknautschte Dollarscheine aus der Hosentasche und legt sie auf den Tresen.

„Could you change that in quarters?“

Hinter dem Parkplatz beginnt die Wüste, getaucht in republikanisches Abendrot. Battle-Mountain ist tiefes Trump Land. 2020 wählten ihn hier 80 Prozent der Bevölkerung. Ein Dorf, das von Goldminen und Glücksspiel lebt. Es gilt das eiserne Faustrecht der We-Don’t-Call-911-Policy: Wer Faxen auf fremdem Boden macht, wird erschossen.

Ich ziehe mir die Poker-Cap etwas tiefer in die Stirn, justiere meine Hosenträger, den Knoten der Westernkrawatte und stecke mir eine Marlboro in die Visage. In diesem Outfit werde man mich als einen der hiesigen anerkennen, belehre ich Aart, während ich Asche von meinem cremefarbenen Rüschenhemd klopfe: So seien wir hier absolut sicher. Aart zieht eine Augenbraue hoch, zuckt mit den Schultern und wirft Quarter-Münzen in die Waschmaschine: „Sicher.“

Mit seinem roten Jersey, den Blue-Jeans und der Sonnenbrille werde man ihn sofort für einen Touristen halten, warne ich.

„Sicher.“

Seit sieben Tagen on the road haben wir mittlerweile unsere feste Motel-Routine. Check-In, kurz Fox-News schauen, Abendessen im Diner. Da ich es bisher in fast jedem Motel geschafft habe, die Toilette zu verstopfen, lasse ich Aart zuerst ins Bad. In Palm Springs war es so schlimm, dass wir das Zimmer wechseln mussten. Dass ich mich seit Wochen ausschließlich von Fastfood, Softdrinks und Zigaretten in amerikanisch dimensionierten Mengen ernähre, kann eigentlich nicht der Grund sein, denn dasselbe tue ich in Deutschland seit Jahren. Es liegt also ziemlich sicher an den Toiletten.

„Sicher“, sagt Aart. Während er duscht, schaue ich Fox News, swipe durch Tinder und like ein paar Frauen, die mit Sniper-Gewehren posieren. Vom Motel-Flur aus dringen das Geschrei spielender Kinder, schimpfender Mütter und Cannabis-Rauch ins Zimmer: Es sind die Familien der Minenarbeiter, die hier in den Ferien absteigen, um die Väter zu besuchen. Manche – die sogenannten Perms – wohnen auch dauerhaft im Motel. Zu viert auf einem Zimmer.

Als Aart mit Duschen fertig ist, versuche ich mein Glück im Bad und verstopfe wieder die Toilette. Zum Glück bin ich inzwischen Profi darin, den Schaden selbst zu beheben. Wenn der Spülkasten nicht funktioniert, bastele ich mit Kleiderbügeln eine Vorrichtung, um das Ventil zu öffnen.

Auf dem Weg nach draußen ruft mir ein etwa siebenjähriger, amerikanisch-selbstbewusster Junge zu: „Love your hair, man!“

„Oh, thank you so much! You like the cap too?“

„Yeah, I love it.“

„I got it in Vegas.“ – ich halte ihm die Kappe hin – „Wanna try it on?“

Er setzt sie auf.

„It’s cool.“

Schenken kann ich ihm die Kappe leider nicht. Gerade dass der Junge sie gut findet, belegt: Sie ist Aarts und meine einzige Sicherheit. Spätestens bei der Durchquerung von Gang-Territorien in Los Angeles werden wir sie brauchen, um auf den Straßen respektiert zu werden.

„Sicher“, sagt Aart. Nach dem Abendessen nehmen wir einen Absacker in der Bar des Colt-Casinos.

„You guys been to Vegas?“, sprechen uns die beiden Minenarbeiter an, die neben uns am Tresen sitzen. Die Kellnerinnen steigen auch ins Gespräch ein. Alle sind sehr herzlich mit uns, spendieren Cola und klären darüber auf, dass die Präsidentschafts-Wahl gestohlen worden sei. Trump, ja, der schlage manchmal ein bisschen über die Stränge, sagt die Kellnerin und meint vermutlich Rabauken-Scherze wie die Attacke auf’s Kapitol oder Knaben-Streiche wie die Mar-a-Lago-Affäre: Aber Trump sei zurzeit der Einzige, der noch echte amerikanische Interessen vertrete. Wirklich nicht so schlecht, wie wir in Deutschland alle glaubten.

„Nobody voted for Biden!“

Sie kenne wirklich absolut niemanden hier, keinen einzigen, der nicht Trump gewählt habe – wie könne es sein, dass trotzdem Biden gewann? Dieser Tattergreis. Ob wir gesehen haben, wie er mit sich selbst spreche und Geistern die Hand schüttele? Da sei gepfuscht worden.

2008 und 2012, gibt die Kellnerin ganz beschämt zu, habe sie noch für Obama gestimmt. Sie hielt Obama-Care für eine gute Idee. Aber dann hätte sie nur zahlen müssen, ohne etwas zu bekommen. Totale Verarschung. Nie wieder wähle sie Demokraten. Besonders erzürnt ist sie über den perfiden demokratischen Hinterhalt der Mehrwertsteuer. Ob wir uns das vorstellen könnten? Sie müsse 15 bis 25 Prozent von ihrem Gehalt abgeben, aber dann, wenn sie etwas im Laden kaufe, kämen da noch mal 7 Prozent Steuern drauf! In der Annahme, dass wir in Deutschland von solchen Dreistigkeiten nie gehört haben, sucht sie einen Ausdruck der Empörung in unseren Gesichtern. Als wir ihr von 19 Prozent Umsatzstezer erzählen, senkt sie die Stimme und wird ganz sanft. Sie werde ihre Meinung überdenken: „I didn’t know that other countries have it too.“, sagt sie und bietet uns einen Refill auf die Cola an, „Maybe it’s not as bad as I thought.“

Natürlich ist man auch über das deutsche Waffengesetz sehr erstaunt. Ob wir uns denn nicht total unsicher damit fühlen würden, keine Waffen zu Hause zu haben?

„You never even shot a gun?“, fragt der eine Minenarbeiter. Die Menge seiner Waffen, sagt er, bestimme er nur noch per Waage, seit ihm das Zählen zu lästig geworden sei.

„We can go to the desert tomorrow afternoon“, lädt er mich ein, „You can shoot all my guns. Even the big boys.“

Nur müsse ich mir darüber klar sein, dass er die ganze Zeit hinter mir stehen und eine geladene Pistole auf mich richten werde.

„Just for safety. In case that you snap.“, sagt er brüderlich, „I’m faster than you.“

Tatsächlich bin ich ziemlich angetan von dem Gedanken. Doch Aart rät mir, da ein wenig mehr Überlegung reinzustecken. Weil er sich abgesehen von der Fehleinschätzung meines Outfits in solchen Fragen schon häufiger klug gezeigt hat, lasse ich diese einmalige Chance verstreichen.

Wir fahren über staubige Wüstenstraßen, vorbei an Maverick-Tankstellen und Dennys Diners – fahren fort in der Routine: Check in im Golden Spur Motel, Burns. Aart schaut Teleshopping, während ich versuche, die Toilette zu entstopfen. Die Waffen-Frage ist für mich noch nicht vollständig geklärt. Auch Jim, ein Gas-Jockey, den ich nachts beim Zigaretten Holen an der Tanke treffe, lädt mich dazu ein, mit ihm schießen zu gehen. Als echter Motorrad-Cowboy, trägt er seinen Revolver stets am Halfter. Die Flagge auf seiner Cap symbolisiere seine Liebe zu Amerika, sagt er: Doch er hasse die Regierung, Biden, das Rechts-System, das ganze verkorkste Land.

Mit 14 Jahren kam Jim für bewaffneten Raub in den Jugendknast. Dabei habe er gar keine Waffe getragen. Er sei nur bei dem Polizeibeamten eingebrochen, um ein bisschen die Wohnung zu verwüsten – Rache für die Inhaftierung seiner Freunde. Erst sah alles gut aus: Jim kam unentdeckt davon. Ein paar Wochen nach dem Einbruch wurde er dann erwischt. Das gestohlene Polizeiradio, mit dem Jim von seinem Kinderzimmer aus Einsatzmeldungen verfolgte, erzeugte eine Rückkopplung, als ein Cop-Freund seines Vaters zu Besuch war. Im Verfahren habe der Polizist rückwirkend seine Dienstwaffe gestohlen gemeldet, um höheres Strafmaß zu erzielen. So sei das Rechtssystem hier: „If they don’t like your face, they make it two years more.“

Jims älterer Kumpel Roger, der auf einer Bank sitzt und meine Zigaretten raucht, stimmt zu. Auch er kam mit 13 Jahren in den Knast: Drogenhandel, Bandenkriminalität, Autodiebstahl.

„Is that your car?“, fragt er, in Richtung der schwarzen BMW-Limousine weisend.

„Ehm“, sage ich, „No, i mean.. yeah, it’s our rental car.“

„Not bad.“

Ein Auto wie dieses sei schwer zu klauen. Aber in manchen Hoods würden sie trotzdem geknackt. Besonders in L.A. solle ich vorsichtig sein. Selbst wenn ich nur an der Ampel stünde: In zehn Minuten hätten sie mir den ganze Wagen ausgeweidet, die komplette Technik rausgeholt.

Wie Jim hasst auch Roger die Regierung, Biden, das Rechts-System – seine Liebe zu Amerika schmälert das nicht. Am Ende seiner weit ausholenden Begründung driftet er in antisemitische Verschwörungstheorien ab. Ich verabschiede mich und lasse meine zweite Chance dazu, in der Wüste rumzuballern, diesmal freiwillig verstreichen.

Wir fahren durch Steppenland, vorbei an Shell-Tankstellen und Diners – fahren fort in der Routine: Check-In im Red Lion Inn, Kennewick. Aart geht duschen, ich liege auf dem Bett und schaue Fox News. Dann ein Knall. In meiner durch Jim und Roger angeheizten Paranoia, glaube ich erst, jemand hätte geschossen. Aart kommt aus dem Badezimmer gestolpert. Was los sei, will ich wissen.

„Das ganze Bad steht unter Wasser.“, sagt Aart. Fachmännisch dränge ich mich vor, die Sache zu regeln. Doch die Toilette ist nicht verstopft, nein, Aart hat es – wie auch immer – geschafft, den Spülkasten zu zerbrechen.