Ein Parfüm-Flacon mit der Duftnote Venedigs

„Venedig? Ich hab gehört, da soll es stinken.“ – ein Zitat aus einer Reality-TV-Sendung, nach welchem ich das Internet lange erfolglos durchforstete, weil ich es auf einem Song verwenden wollte. Es war, glaube ich, der trockene Kommentar einer Mutter auf die romantischen Träume ihrer Schwiegertochter.

Der Handwerker, der ein Trockengerät in meiner Küche installiert, reagiert auf meine Reisepläne genauso lakonisch: In Venedig solle es stinken. Zum Glück habe ich eine Pension auf dem Festland gebucht und so steht meinen persönlichen romantischen Träumen nichts im Wege. Simon Baucks Kurzfilm „Die Verlorenen“, für den ich Drehbuch schrieb, ist auf einem venezianischen Indie-Film-Festival nominiert und ich hoffe auf etwas Movie-Glamour – die distinguierten Aromen teurer Parfüms, Muskat, Sandelholz und Citrus.

„Heute mindestens drei Runden stehen!“ Vom Alkoholmissbrauch erschöpft spürt Runau, dass er seine Rolle als Schaukämpfer nicht mehr spielen kann. Währenddessen pflegt Amelie unter Einfluss von Amphetaminen ihre kranke Mutter. Katalysiert von Schmerz und Gewalt erleben die Verlorenen eine parallele Entwicklung ihrer Suchtkrankheiten.

Nach einer schlaflosen Reisenacht laufe ich durch Baubrachen hinaus in die Outskirts von Mestre, vorbei an Prostituierten und Checker-Typen, die mir Offerten zuraunen, einem Fixer, der seinen Fuß mit einem Beutel Erbsen kühlt und einem Kerl, der mit einer brennenden Zigarette im Ohr Rubbellose freikratzt. Die Gegend wirkt trist, aber es riecht gut: Nach warmen Steinen und Benzin – nach Sommer in Italien. Und obwohl im Treppenhaus der Pension Blutspritzer an der Wand sind, bin ich zufrieden mit der Unterkunft, denn am Bahnhof von Venedig weht mir ein Schwefelgestank entgegen, der selbst den Ekel über die Kakerlaken im Zimmer fortbläst.

Die Stadt, die sich nach den italienischen Winterdürren derzeit nicht sicher ist, ob sie nun untergehen oder austrocknen will, ist natürlich trotzdem so schön wie Hollywood sie sich erträumt. Das Film-Auditorium umgeben von einer Balkon-Galerie, mit korinthischen Kapitellen gezierte Säulen, und von der hohen Decke blicken Engel zu uns herab. So schön, dass Hollywood sich mittlerweile davor fürchten muss. Denn nachdem gerade eine amerikanische Lehrerin, die ihrer Klasse Michelangelos David zeigte, wegen Vorführung pornografischer Inhalte gecanceled wurde, müssen vermutlich alle Filme noch einmal daraufhin revidiert werden, ob im Hintergrund der Gondel-Szenen nicht vielleicht nudistische Basreliefs zu sehen sind.

Hier lacht man über die Amerikaner. Meloni-Italien hält es auch mit der Cancel-Culture anders. Als bei der Festival-Eröffnung ein ukrainischer Student kritisiert, dass die Regisseure der eingeladen russischen Filme mit Kriegs-Financiers affiliiert seien – ihnen gebe man hier nun eine Bühne, während gerade ukrainische Kinos zerbombt werden – antwortet der Moderator lediglich: Man sei den Russen weder Freund noch Feind. Die moralische Frage ist schwierig, das Festival wirft sie nur auf, ohne den Hintergrund der Debatte zu beleuchten. Vielleicht gehen die wesentlichen Details auch in der englischen Übersetzung verloren: Ob die besagten Filme, die von der Jury als politisch neutral eingestuft wurden, nun konkret durch russische Propaganda-Fonds gefördert wurden, bleibt unklar. Wir wollen scholzisch-deutsch zunächst die Moves der anderen abwarten, bevor wir uns ein Urteil gestatten. Bei der Vorführung der Filme stehen die venezianischen Studierenden dann geschlossen auf und verlassen das Kino. Eigentlich nehme ich mir vor, die problematisierten Filme besonders aufmerksam zu schauen. Schlussendlich bekomme ich allerdings gar nichts von ihnen mit, weil die Frau neben mir, die sehr gut riecht, plötzlich meine Hand greift. Später führt sie mich durchs Gassenlabyrinth, hält kunsthistorische Vorträge, schimpft Cazzo auf alles und jeden, die ekligen Gabbiani – Möwen, die um eine tote Ratte streiten – und selbstverständlich auf den schrecklichen Kanalgestank: „Wuääh… That’s venice.“

Nachts fahre ich alleine zurück auf’s Festland, um in meiner Junkey-Pension durchzuatmen. Die Betrunkene im Nebenzimmer telefoniert bis drei Uhr laut und lallend: „Yeas, ies so biewdieeful, so biew, eh…  so biewdiefuul, aiiiimin venice, so really biewdieeful, it stinks, but is soo biewdiefuuul.“

Vormittags arbeite ich von Mestre aus. Vor den Screenings am Abend treffe ich Simon und seine Freundin Lena, die Schauspielerin ist. Wir unterhalten uns über das Festival, die Filme und Vorträge, den Betrieb, die Frage, ob ein Langfilm entsteht. Freitag jetten die beiden schon weiter nach Landshut, auf ein anderes Festival. Ich treffe mich nochmal mit der Frau aus dem Kino und möchte wissen, was sie eigentlich dazu bewogen hat, meine Hand zu nehmen: Eine Attraktion auf Basis des Geruchs?

„You just smelled of smoke. I liked that.“, sagt sie. Rauch ist für Venezianerinnen natürlich ein lieblicher Geruch.